Alexander Nicolai/
Von Konsensgenerierungsmaschinen,
Nebelkerzen und „the Operation called Verstehen“
Replik auf die
Anmerkungen von Christian Homburg/Harley Krohmer; Wolfgang Fritz, Hans H.
Bauer/Nicola Sauer zum Beitrag „Trotz eklatanter Erfolglosigkeit:
Erfolgsfaktorenforscher auf Erfolgskurs, DBW 62 Jg. (2002), S. 579-596
Erfolgsfaktorenforschung;
Meta-Analysen; Praxisbezug der Betriebswirtschaftslehre
In dieser Replik beziehen wir uns,
falls nichts anderes angemerkt, auf die im Internet veröffentlichten
Langfassungen der Stellungnahmen von Homburg/Krohmer (H/K) und Bauer/Sauer
(B/S). Der Beitrag von H/K ist der längste und enthält auch die massivste
Kritik, so dass wir uns zunächst mit ihm beschäftigen. Wo es sich machen lässt,
gehen wir auf die Ausführungen der anderen Dialogteilnehmer im Rahmen dieser
Diskussion ein, widmen ihnen am Ende dieser Replik aber auch eigene Abschnitte.
1. Zum
Strohmann
Homburg und Krohmer (H/K) wenden ein,
wir würden in unserem Artikel nicht die tatsächliche Forschungspraxis
kritisieren, sondern eine von uns angefertigte Karikatur der
Erfolgsfaktorenforschung. Zunächst weisen sie die Behauptung zurück, dass es
bisher keinen Erfolgsfaktor gibt, der als empirisch gesichert gilt und aus dem
sich normativen Aussagen ableiten lassen. Schließlich könne kein Mensch das
gesamte Gebiet der Erfolgsfaktorenforschung überblicken. Letzteres stimmt – aber wären wir fündig geworden, wenn wir
uns durch die die gesamte Forschung, in
der Performance als abhängige Variable (PaaV) auftaucht, gewühlt hätten? Wohl
kaum. Es wäre für H/K ein Leichtes gewesen, uns zu widerlegen. Sie hätten uns
nur einen dieser raren Faktoren präsentieren müssen. Das taten sie aber nicht.
Stattdessen monieren sie, dass man so etwas ja wohl nicht sagen dürfe und
berichten in ihrer 25 Seiten-Replik abstrakt von den Verbesserungen der
Instrumente, mit denen die legendären Erfolgsfaktoren zu Tage gefördert werden.
Fritz ist in diesem Punkt deutlich mutiger, wir werden darauf zu sprechen
kommen.
Im Wesentlichen auf folgende Argumente stützen H/K ihren
Vorwurf, wir hätten einen Strohmann gebastelt:
(1) Erfolgsfaktorenforschung werde nicht
präzise definiert.
(2) Meta-Studien dokumentieren doch die
Konvergenz von Forschungsresultaten, allein unsere fehlerhafte und selektive
Wiedergabe dieser Studien zeichne ein verzerrtes Bild.
(3) Es stimme nicht, dass
Erfolgsfaktorenforscher kaum untersuchen, ob und wie sich ihre Erkenntnisse in
der Praxis verbreiten.
(4) Erfolgsfaktorenforscher
würden, anders als wir behaupten, überhaupt keine direkte Anwendbarkeit ihrer
Ergebnisse suggerieren.
(5) Wir
kritisierten eine überholte Form der Erfolgsfaktorenforschung. Die neueren
Methoden seien leistungsfähiger und lieferten „echte“ Erfolgsfaktoren
Der erste Kritikpunkt ist schnell erledigt,
mit den nächsten drei beschäftigen wir uns in den folgenden Unterpunkten und
mit dem letzten in Abschnitt 2. Erst schreiben H/K, dass wir „nur sehr
unpräzise“ definieren, was Erfolgsfaktorenforschung ist. Dann wird klar, dass
sie damit eigentlich meinen, wir würden den Begriff zu eng definieren. In der
Tat konzentrieren wir uns auf Analysen zum Unternehmenserfolg (wie z.B. Fritz,
1995a, auch). Das schließt an die historische Entwicklung des Begriffs „Success
Factor“ an und umgreift ein sehr breites Feld. Natürlich kann man stets über
die „Richtigkeit“ einer Definition streiten und bekanntlich ist das ziemlich
unfruchtbar. Was das alles jedoch mit „Strohmanntaktik“ zu tun haben soll, wird
nicht deutlich.
1.1. Das Problem mangelnder Konvergenz
Mit einer tabellenartigen Übersicht über
Veröffentlichungen, in denen vorliegende Ergebnisse der
Erfolgsfaktorenforschung evaluiert bzw. einer Meta-Analyse unterzogen werden,
versuchten wir beispielhaft zu zeigen, dass diese Ergebnisse nicht konsistent
sind. Fast die Hälfte der Langfassung ihrer Replik (ohne Literaturverzeichnis)
wenden H/K auf, um diese Beispiel-Tabelle zu kritisieren. Mit einer – von ihm
selbst durchgeführten – Meta-Analyse tritt Fritz ebenfalls dem Vorwurf der
Inkonsistenz von Ergebnissen entgegen und diagnostiziert „übereinstimmende
Resultate“.
Zuerst
weisen H/K darauf hin, dass unsere wörtlichen Zitate, in welchen die Autoren
von Meta-Analysen die Inkonsistenz von Ergebnissen beklagen, nicht das
intendierte Ergebnis der jeweiligen meta-analytischen Bemühungen sind. Das ist
zweifelsohne richtig. Wenn es aber das Anliegen von Meta-Analysen ist zu
zeigen, dass sich hinter den inkonsistenten Ergebnissen doch so etwas wie
Konsistenz verbirgt, wie sollen wir dann das, was wir demonstrieren wollen,
nämlich die Inkonsistenz, anhand der Schlussfolgerungen von Meta-Analysen
deutlich machen?
Eine Meta-Analyse kann – und das war unsere Intention – als Indiz dafür genommen werden, dass die
Inkonsistenz von Ergebnissen einen Reparaturbedarf aufwirft. Je größer die Zahl
an Meta-Analysen, desto größer die Zahl der Felder mit widersprüchlichen
Ergebnissen und desto höher auch der Reparaturbedarf eines wissenschaftlichen
Forschungsansatzes. Und der scheint groß zu sein. Mag sein, dass Short et al.
(2002, S. 364) einer ähnlich verzerrten Wahrnehmung unterliegen wie Lampel und
Shapria (2002) oder wir, doch auch sie stellen nach ihrem Überblick zu
Meta-Studien der Erfolgsfaktorenforschung fest: „Such inconclusive results are
not restricted to a subset of research topics in strategy, but present a
dilemma that pervades the field as a whole.“
H/K
erwecken fälschlicherweise den Eindruck,
als ob Meta-Analysen so etwas wie eine Konsistenzgenerierungsmaschine seien:
zwingen Inkonsistenz raus, zwingen Konsistenz rein. So zitieren sie
(zustimmend?) als „zentrales Ergebnis einer Meta-Analyse“ die unzureffende
Feststellung: „The results remove any equivocality surrounding configurations’
ability to predict performance.“ (Ketchen et al. 1997, S. 233)
Jedoch: Meta-Analysen
bringen inkonsistente Ergebnisse keineswegs zum Verschwinden. Die werden
selbstverständlich nicht aus den Zeitschriften entfernt. Es muss sich erst noch
zeigen, ob die Berücksichtigung der Bedingungen, die entsprechend der
Meta-Analyse für das Zustandekommen der Inkonsistenz verantwortlich sind, in
zukünftigen Analysen zu einer höheren Konsistenz führt. Hinzu kommt: Da es
verschiedene methodische Varianten der Meta-Analyse gibt, können verschiedene
Meta-Analysen mit den gleichen Studien zu abweichenden Resultaten führen (Drinkmann
1990). Und
dann ist noch auf die bekannten Probleme der Meta-Analyse hinzuweisen wie
„apples and oranges“ (nicht vergleichbare Studien werden miteinander
verglichen), „garbage in – garbage out“ (Studien unterschiedlicher methodischer
Qualität werden ausgewertet), „publication bias“ bzw. „file drawer-Problem“
(negative Befunde bleiben in den Schubladen der Forscher oder werden nicht publiziert,
was zu einer verzerrten Auswahl der Ausgangsstudien führt).
H/K gehen noch weiter: Sie weisen darauf hin, dass die
Meta-Analysen nicht innerhalb der jeweils analysierten Studien Konvergenz
herstellen, sondern „dass bei den dargestellten Arbeiten … studienübergreifend durchaus eine gewisse Konvergenz der Ergebnisse
vorliegt“ (Hervorhebung hinzugefügt). Diese hätten wir unterschlagen, weil wir
selektiv vorgegangen seien. Welche der bislang divergierenden Ergebnisse nun
„durchaus“ eine „gewisse“ Konvergenz aufweisen, sagen H/K allerdings nicht. Es
ist trifft auch nicht zu, dass die Konsistenz verschiedener PaaV-Studien
zunimmt, je ausgefeilter die Methoden sind. Lampel und Shapira (1995, S. 128)
zeigen am Beispiel des Erfolgsfaktoren-Großprojektes zu First-Mover-Vorteilen,
dass eher das Gegenteil richtig ist:
„Studies that use a few easily measured control variables such as rate
of market growth, marketing expenditures, or distribution coverage were more
likely to find support for the first-mover hypothesis. By contrast, studies
that attempt to capture more complex control variables such as time spent on
product development, product superiority, or firm-specific skills, had found
more equivocal results.”
Das macht nicht gerade Hoffnung, dass die zweifellos
existierenden Methodenverbesserungen der
Erfolgsfaktorenforschung zu Konvergenz der Ergebnisse führen. So ist
wahrscheinlich, dass dereinst die Erfinder der sechsten Generation von
Kausalanalysen genauso skeptisch auf die der dritten Generation herabsehen, wie diese heute auf die der
ersten oder zweiten Generation. Und auch hier müssen wir etwas verwundert
fragen: Wenn es denn auch nur einen einzigen normativ interpretierbaren
Erfolgsfaktor gibt, auf den die Studien konvergieren, warum haben ihn H/K uns
nicht genannt?
1.2. Interessieren sich die
Erfolgsfaktorenforscher für die Umsetzung ihrer Ergebnisse?
H/K wehren sich vehement gegen den Vorwurf,
die Erfolgsfaktorenforscher interessierten sich nicht dafür, wie Praktiker ihre
Ergebnisse umsetzen. H/K: „Wir wissen von zahlreichen Kollegen, die
Erfolgsfaktorenforschung betreiben, daß sie intensiv den Dialog mit der Praxis
pflegen und großen Wert auf Feedback und Interpretationen aus der Praxis
legen.“ Und: „Der eigentliche Dialog mit der Praxis findet außerhalb
wissenschaftlicher Publikationen statt.“ Mag sein, dass sich
Erfolgsfaktorenforscher insgeheim sehr dafür interessieren, wie ihre
Forschungsergebnisse die Entwicklungen von Unternehmen verändern. Vielleicht
führen sie hinter verschlossenen Türen darüber auch hitzige Diskussionen mit
Praktikern. Das können wir nicht überprüfen. Was wir eigentlich meinten, ist
das fehlende wissenschaftliche
Interesse hinsichtlich der Anwendung von Ergebnissen der
Erfolgsfaktorenforschung. Nach Hunderter wissenschaftlicher Artikel, die
behaupten, die Anwendung ihrer Ergebnisse sei erfolgssteigernd, könnte man ja
erwarten, dass einer darunter ist, in dem geprüft wird, ob das tatsächlich so
ist. Mittlerweile wurde der Erfolgsbeitrag von Umweltschutzmassnahmen (Fritz, 1995b),
Auslandsentsendungen von Managern (Petersen, 1996) oder Exportstrategien in
Schwellenländern (Aulakh et al., 2000) genauso gründlich getestet wie die
Erfolgsfaktoren von Joint-Ventures in China (Y. Hu/Chen, 1996). Wenn die
Forscher tatsächlich an ihre eigene Methode glauben, wäre es doch an der Zeit,
auch mal zu schauen, ob die Erfolgsfaktorenforschung selbst ein Erfolgsfaktor
ist. Wenigstens könnte man der Frage nachgehen, ob diese Forschung überhaupt
einen Einfluss hat. Das findet aber praktisch nicht statt. Im Grunde ist ein
wissenschaftlicher Ansatz, der für sich in Anspruch nimmt, nützliches Wissen
für die Praxis zu erzeugen, verpflichtet, diesen Nutzen mit wissenschaftlichen
Methoden nachzuweisen. Wer hier pauschal darauf verweist, dass der Dialog mit
der Praxis außerhalb der Wissenschaft stattfindet, erweckt ein wenig den
Eindruck, eine „Geheimwissenschaft“ zu betreiben.
Vier der Quellen (Agrawall 2001, Blume/Fromm 2000,
Mohrmann/Gibson/Mohrmann 2001, Simmonds et al. 2001), die H/K uns in diesem
Zusammenhang zur Lektüre empfohlen haben, müssen als Nebelkerzen bezeichnet
werden und behandeln dieses Thema jedenfalls nicht. Die Beiträge behandeln
allgemeine Fragen des Wissenstransfers und haben nichts mit der Verwertung der
Erfolgsfaktorenforschung in der Praxis zu tun. Wir können den interessierten
Leser nur bitten, sich diese Quellen einmal anzuschauen. Bleiben noch zwei
angebliche Belege für das Interesse der Erfolgsfaktorenforscher an der
Verwertung ihrer Ergebnisse in der Praxis: Der eine Beitrag stammt von Kotabe
et al. (1991), der andere stammt von Diller und Lücking (1993) und schließt
direkt an dem Ansatz von Kotabe et al. (1991) an. Diese Autoren beschäftigen
sich tatsächlich mit der Rezeption von Erfolgsfaktoren in der Praxis. Es geht
aber in beiden Beiträgen um das gescheiterte und (wie H/K in der Kurzversion
auch selbst feststellen) veraltete PIMS-Programm, das zu weiten Teilen in einem
kommerziellen Unternehmensberatungskontext entwickelt wurde und damit ein
absoluter Sonderfall ist. „Nicht zuletzt das [...] Anwendungsprogramm
unterstreicht die Sonderstellung der PIMS-Forschung innerhalb der
Erfolgsfaktorenforschung“ (Fritz, 1995a, Sp. 605). Uns ging es um
Erfolgsfaktorenforschung, die von Wissenschaftlern in akademischen
Zeitschriften entwickelt wird und da werden auch H/K nicht fündig. Anders als
H/K gestehen Bauer und Sauer (B/S) fairerweise ein, dass die
Implementierungsforschung ein „kümmerliches Ausmaß“ einnimmt.
Die Erfolgsfaktorenforscher sind allen Anschein nach
nicht diejenigen, die das ändern wollen. Ein Grund könnte sein, dass der
Erfolgsbeitrag für diese Forscher so fraglos gegeben ist, dass jede weitere
Überprüfung überflüssig erscheint. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass im
konkreten Anwendungsfall allzu deutlich
zu Tage tritt, wie höchst problematisch
die „praktischen Implikationen“ dieser Studien sind.
1.3. Erfolgsfaktorenforscher
suggerieren sehr wohl eine direkte Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse
In unseren Beitrag schreiben wir, Erfolgsfaktorenforscher
würden suggerieren, dass ihre Ergebnisse unmittelbar in Handlungsanweisungen zu
überführen sind. Davon wollen H/K nichts wissen: „Wer hat diese unsinnige
Behauptung in den Raum gestellt bzw. derartige Sachverhalte suggeriert?“
Jedenfalls nicht der Strohmann, wie H/K bemerkt haben wollen. Die Antwort
lautet, es sind die Erfolgsfaktorenforscher selbst wie etwa Fritz und die ganze
Schar der Kollegen, die er zitiert. Schon der Begriff „Erfolgsfaktor“
suggeriert, dass er eine Stellschraube ist, an der der Praktiker drehen muss,
damit die Organisationsmaschine effizienter funktioniert. Die Suggestion
lautet, in einen solchen Faktor muss mehr investiert werden, damit sich Erfolg
einstellt. Deshalb nehmen Erfolgsfaktorenforscher für sich in Anspruch, dass
ihr Ansatz geradezu per definitionem (Hambrick, 1990) als praxisrelevante
Forschung gelten muss (Walton, 1985). Wie sollen wir es z.B. sonst deuten, wenn
Fritz und Effenberger (1997) nach ihrer Erfolgsfaktoren-Studie zum Einsatz von
Unternehmensberatungen verkünden: „Strategische Unternehmensberatung zahlt sich
aus!“ Als ein konzeptionell zu nutzendes Interpretationsangebot? Die Beispiele
lassen sich beliebig fortsetzen:
„Wir wollen
… insbesondere Handlungsleitlinien für Unternehmen entwickeln, deren Erfolg
maßgeblich von Innovationen bestimmt wird.“ (aus einem Bericht einer
Untersuchung, an der der VDI, McKinsey sowie die Professoren Gemünden und
Trommsdorf beteiligt waren, o.V., 2001, S. 8).
Oder:
„Unternehmen
müssen nicht weniger, sondern im Gegenteil mehr Marketing betreiben, um
langfristig erfolgreich zu sein. Dementsprechend sind alle praktischen
Maßnahmen, die der Marktorientierung in einem Unternehmen zur vollen Entfaltung
verhelfen sollen, grundsätzlich zu begrüßen. Dazu zählt z.B. die Einrichtung
eines Vorstands- oder Geschäftsleitungsressorts Marketing, die Ausstattung des
Marketingbereichs mit einem grossen unternehmenspolitischen Einfluss sowie die
Koordination des Marketing mit dem Produktions- und dem FuE-Bereich“ (Fritz
1993, S. 41).
2. Jagd auf ein Phantom: „Echte“
Erfolgsfaktoren
H/K führen aus, unsere Kritik träfe nur
eine überholte Form der Erfolgsfaktorenforschung. Zu diesem Punkt rennen H/K
zunächst einige offene Türen ein und listen Schwachpunkte älterer PaaV-Studien
auf, die wir teilweise selbst angesprochen haben. Dann kommen sie zu ihrem
Hauptargument: Wir konzentrierten uns auf veraltete Korrelations- und Regressionsanalysen und
vernachlässigten systematisch jüngere Ansätze wie die Kausalanalyse. Unsere
Kritik treffe also nur auf einen Ansatz, den sowieso keiner mehr vertritt, und
schieße an der jüngeren, angeblich erfolgreichen Erfolgfaktorenforschung
geradewegs vorbei.
Wir haben unsere Kritik keineswegs auf
Korrelations- oder Regressionsanalysen beschränkt, auch wenn diese Methoden bis
heute sehr verbreitet und durchaus „typisch“ sind. Aber das ist gar nicht der
Punkt. An verschiedenen Stellen haben wir von methodischen Weiterentwicklungen
in der Erfolgsfaktorenforschung gesprochen. Wir haben ausdrücklich
festgestellt, dass einige der von uns genannten methodischen Schwächen
eventuell im Wege der Weiterentwicklung von Methoden überwunden werden. Es gibt
jedoch, wie wir gleich noch einmal ausführen, andere Schwachpunkte, die der
Erfolgsfaktorenforschung inhärent sind, und eben nicht durch methodische
Verbesserungen in den Griff zu bekommen sind. Was wir kritisiert haben, ist der
Glaube, dass methodische Verbesserungen diese grundsätzlichen Probleme beheben
können. Diese Kritikpunkte treffen auf alle Ansätze der
Erfolgsfaktorenforschung zu, auch auf die Kausalanalyse.
Die ganze Diskussion wäre vielleicht etwas
anschaulicher, wenn H/K dem Strohmann, den sie überall vermuten, ein Exemplar
„echter“ Erfolgsfaktorenforschung gegenüber gestellt hätten. Das blieb, wie
gesagt, leider aus. Wohl nicht ohne Grund verzichten H/K auf die Behauptung,
dass die Bemühungen der Erfolgsfaktorenforschung auch nur eine von den
„bedeutenden“ Meta-Studien einen der seit vielen Jahren gesuchten
Erfolgsfaktoren geliefert hätten, der als empirisch gesichert gilt und normativ
zu interpretieren wäre.
Als einziger aus der Reihe unserer Kritiker wagt sich
Fritz aus der Deckung und stellt einen solchen Faktor mutig zur Diskussion: Es
sei die Marktorientierung. Schon auf den ersten Blick mutet das ein wenig
tautologisch an: Markterfolg aufgrund von Marktorientierung. Das ist etwa
vergleichbar mit dem Ergebnis, dass in Universitäten Forschungsorientierung zu
Forschungserfolg verhilft. Aber schauen wir uns die Studien zu diesem
bemerkenswerten Faktor etwas genauer an. Die erste von Fritz zu diesem Thema
genannte Arbeit, ein Überblick zu verschiedenen PaaV-Studien, führte noch nicht
zu sehr ermutigenden Ergebnissen:
„Die Erfolgsfaktorenforschung stellt
sich zur Zeit als ein bunte Mischung von oberflächlicher Geschichtenerzählerei,
Folklore, Rezeptverkauf, Jagen und Sammeln sowie einigen wenigen Bemühungen um
ernstzunehmende eigenständige Forschung dar.“ Und weiter: „Insgesamt vermag die
empirische Erfolgsfaktorenforschung in ihrem gegenwärtigen Stadium den
umstrittenen Dominanzanspruch des Marketing weder uneingeschränkt zu stützen
noch eindeutig zu widerlegen.“ (Fritz, 1990, S. 103 u. 105)
Um in diese Frage eine Klärung herbeizuführen, führte
Fritz (1992, 1996) eine eigene Studie zum Erfolgsfaktor „Marktorientierung“
durch, die auf einer schriftlichen Befragung basiert. Wir wollen an dieser
Stelle nicht auf die methodischen Probleme wie Key Informant Bias, Endogenität
usw. eingehen, mit denen man es zu tun bekommt, wenn man Manager auf einem
Fragebogen einerseits den Grad ihrer Marktorientierung und andererseits die
ROI-Entwicklung der letzten drei Jahre ankreuzen lässt. Gehen wir zudem davon
aus, dass die Studien zu diesem Thema tatsächlich „Konvergenzvalidität“
aufweisen und ignorieren wir für einen Moment den ganz aktuellen Forschungsstand
wie er etwa von Noble et al. (2002, S. 25) zusammengefasst wird:
„Although the merits of maintaining a market orientation have been
extensively discussed in the literature, studies examining the empirical link
between market orientation and performance have shown mixed results.”
Unterstellen wir ferner, die diffuse Variable
„Marktorientierung“ wäre für den Praktiker im Einzelfall operationalisierbar.
Könnte man dann, sagen, Unternehmen müssen mehr in Marketing investieren?
Natürlich nicht. Wir wissen z.B. nicht, ob dieser Faktor unterpreist ist.
Vielleicht ist „Marktorientierung“ auch nur deshalb ein vermeintlicher
Erfolgsfaktor, weil sie zum Beispiel von einer spezifischen Unternehmenskultur
abhängt und gerade deshalb schwer oder gar nicht kopierbar ist. Was sich
normativ daraus ableiten lässt, bleibt undeutlich.
Das scheint auch Fritz klar zu sein. Wie wir in unserem
Beitrag dargelegt haben, bedienen sich Erfolgsfaktorenforscher in einer solch
undurchsichtigen Situation gerne der Tautologie. Die Implikationen werden dann
zwar inhaltsleer, aber man kann wenigstens den normativen Tonfall
aufrechterhalten. So legt Fritz (1992, S. 454f.) dem interessierten Leser am
Ende seiner 456-Seiten-Studie zu dem Erfolgsfaktor „Marktorientierung“
folgenden Ratschlag ans Herz:
„Sowohl eine Vernachlässigung der
Marktorientierung als auch deren Überbetonung im Rahmen der Unternehmensführung
bewirken nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung eine
Beeinträchtigung des Unternehmenserfolges. Es kommt somit darauf an, die
Marktorientierung in ausreichendem Maß auszubalancieren.“
Man kann eine tautologische Feststellung dieser Art mit
verbundenen Augen für jede beliebige Einflussgröße treffen. Die
Schlussfolgerung, Praktiker sollen in „Marktorientierung“ investieren, ist bestenfalls
nichtssagend, vielleicht aber einfach falsch.
3.
Die Kernprobleme der
Erfolgsfaktorenforschung können durch eine Verbesserung der Methoden nicht
beseitigt werden
Zugegeben,
das Ganze wirkt wie eine Karikatur, ist aber dennoch kein Strohmann, sondern
sehr reale, sehr verbreitete Forschungspraxis. Warum diese vermeintlichen
Strohmänner trotz ihrer Substanzlosigkeit noch immer durch die
Forschungslandschaft rascheln, haben wir zu erklären versucht.
Nun würden H/K vielleicht
erwidern, dass das hier diskutierte Beispiel nicht ganz internationaler
State-of-the-Art sei, und dass die neuere Generation der Forschungsansätze
echte Erfolgsfaktoren hervorbringt. Erst dieses Argument erlaubt es uns, auf
eines der Kernanliegen unseres Beitrages einzugehen. Uns ging es nicht darum,
die in vielen Bereichen gewinnbringende quantitative Sozialforschung in den
Managementwissenschaften im Allgemeinen zu diskreditieren. Uns ging es gezielt
um die Jagd nach isolierbaren Einzelfaktoren des Erfolgs, mit welchen methodischen
Instrumenten sie auch immer betrieben wird.
In unserem Aufsatz hatten wir die Probleme der selbstzerstörerischen
Effekte (ein Erfolgsfaktor ist spätestens dann keiner mehr, wenn er allgemein
bekannt ist), der ungesicherten Annahme des Marktungleichgewichts (es ist
unklar, ob der jeweilige Faktor unterbewertet ist), der Paradoxie des
regelbefolgenden Verhaltens (erfolgreiche Strategien sind neuartig und Regel
brechender Natur), der besonderen Eigenschaften von Wettbewerbsvorteilen (z.B.
ist Marktmacht gerade deshalb erfolgrelevant, weil man sie so schwer erlangt)
oder der impliziten Theorien (die Erfolgsfaktorenforschung muss sich zwischen
Theorien entscheiden, wofür eindeutige Kriterien fehlen) erwähnt. Dies sind
spezielle und fundamentale Probleme der Erfolgsfaktorenforschung, die nicht
durch methodische Weiterentwicklungen überwunden werden können. Ausgerechnet
dazu schweigen H/K und die anderen Verfechter der Erfolgsfaktorenforschung in
ihren Stellungnahmen.
In
unserem Aufsatz haben wir auf die Probleme von mittels Key Informants
gewonnenen Daten, die in einer großen Zahl, wenn nicht der Mehrheit von
Analysen der Erfolgsfaktorenforschung, zum Einsatz kommen, hingewiesen. Darauf
gehen unsere Kritiker ebenfalls nicht ein. Key Informants geben die
Sachverhalte, nach denen sie gefragt werden, nicht so wieder, wie sie sind,
sondern wie sie sie sehen oder erinnern. Und die Fähigkeit von Key Informants,
die Tatbestände, nach denen sie gefragt werden, korrekt wiederzugeben ist extrem
beschränkt. Mezias und Starbuck (2003;Starbuck/Mezias
1996) haben
sich auf der Basis empirischer Analysen kritisch mit Validität und
Zuverlässigkeit von über Key Informants gewonnenen Daten beschäftigt. In einer
Untersuchung wurden Manager während einer Schulung um Angaben zum Umsatz ihrer
eigenen business units im letzten
Jahr gebeten. Einige Ergebnisse:
„About 35% of the managers greatly underestimated sales, with errors
ranging from -75% to almost -100%. About 24% of the managers overestimated
sales to extreme degrees, with errors ranging from 200% to 4800%. Overall,
about two thirds of the managers expressed unrealistic notions of their
business units’ sizes in monetary terms” (Mezias/Starbuck, 2003, S. 9).
Da sich
Erfolgsfaktorenforscher darauf berufen, immer die dem jeweiligen Problem an
nächsten stehende Experten zu befragen, ist noch folgendes Ergebnis
interessant: „To our surprise, we found no meaningful differences between
managers with sales experience and those without such experience“ (S. 10).
Ähnlich ernüchternd fielen die Diskrepanzen zwischen subjektiven Angaben und
objektiven Daten in einer Befragung von Kunden eines Versandhauses zu ihren
Käufen des vergangenen Jahres aus (in
dieser Studie finden sich auch zahlreiche Hinweise auf neuere Studien zu
subjektiven Survey-Daten Woodside/Wilson 2002).
Noch
problematischer ist es, wenn Key Informants nicht zu objektiven Tatbeständen
Schätzungen abgeben müssen, sondern zu wissenschaftlichen Konstrukten wie etwa
die Ähnlichkeit zwischen dem eigenen Unternehmen und einem Absatzmittler
(Händler), wobei sie solche Items wie Ähnlichkeit des
Marketing-/Vertriebsverständnisses oder der Unternehmenskultur zu beantworten
haben (Schneider 2001, S. 158). In einer anderen Untersuchung mussten Key
Informants beispielsweise angeben, „In welchem Ausmaß kursieren unter den
Welche Erkenntnisse vermitteln
anspruchsvolle statistische Verfahren, wenn die Qualität der Daten schlecht
ist? Garbage in, garbage out!
Eine eher unorthodoxe Rechtfertigungsstrategie für
Erfolgsfaktorenforschung wählt Fritz. Er verweist auf die auf die „überindividuellen
Kontrollinstanzen“ des Wissenschaftssystems – er sieht so eine Art perfekten
Markt –, welche die Ergebnisse „kaum mehr als konstruktivistische Artefakte
(erscheinen lassen – sic!), sondern vielmehr als objektive Erkenntnisse im Sinne Poppers“ (Hervorhebung im
Original). Die Qualität der Methoden muss immer besser werden, weil die checks and balances des
Wissenschaftssystems dafür sorgen. Weil es den Erfolgsfaktorenforschern
gelingt, Artikel zu veröffentlichen und Ressourcen einzuwerben, so Fritz, sind
sie alles andere als erfolglos. Auch H/K geben an mehreren Stellen zu erkennen,
dass sie das Gewicht eines Arguments vor allem nach dem Impact Factor der Zeitschrift
bemessen, in der es veröffentlicht wurde.
Was
unsere Ausführungen zum Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis anbelangt,
haben uns als einzige H/K missverstanden. Sie sprechen von „Kapitulation“, dem
Rückzug in eine „ideelle Welt“ und von der Abkehr vom „realen
Erkenntnisobjekt“. Wir meinen exakt das Gegenteil. „Kapitulation“ würde
bedeuten, dass wir uns mit der Relevanzfassade der Erfolgsfaktorenforschung
zufrieden geben. Der Rückzug in eine „ideelle Welt“ würde heißen, dass wir, wie
unsere Kritiker, den Publikationserfolg von Erfolgsfaktorenforschung mit ihrer
Nützlichkeit für Unternehmen verwechseln. Und wir plädieren auch nicht für eine Abkehr von dem „realen
Erkenntnisobjekt“, sondern sprechen uns gegen eine Trivialisierung der
Unternehmenspraxis aus, wie sie mit den Simplifizierungen der
Erfolgsfaktorenforschung einhergeht.
Wir
haben uns deutlich für mehr Engagement mit der Praxis ausgesprochen. Die Frage
ist nur eben, wie dieses gestaltet sein soll. Es ist interessant zu sehen, wie
sich H/K an diesem Punkt plötzlich vom Mainstream der Erfolgsfaktorenforschung
distanzieren und unvermittelt die „konzeptionelle“ Nutzung in den Vordergrund
schieben. Ihr eigentliches Ziel sei es demnach gar nicht, Erfolgsfaktoren zu
identifizieren, sondern „neue Perspektiven auf reale Probleme“ zu eröffnen. Das
ist eine interessante Kehrtwende. Popper mit seiner tautologischen
Transformation scheint in diesen Zusammenhang nun doch nicht mehr aktuell zu
sein. Also: Es ist nicht zulässig, Empfehlungen für einzelne Unternehmen aus
Ergebnissen der Erfolgsfaktorenforschung abzuleiten, aber irgendwie gibt es
doch einen Mechanismus, einen „Stein der Weisen“, „konzeptionelle Nutzung“
genannt, durch den auf unerklärliche, zumindest in wissenschaftlichen
Zeitschriften nicht zu erklärende Weise, Nutzen für die Praxis geschaffen wird.
Es ist bedauerlich, dass H/K die Prozesse des Verstehens (der der
Erkenntnisphilosophie nahe stehende Wissenschaftstheoretiker Abel (1948) spricht herablassend
von „the operation called Verstehen“)
und des Perspektiveneröffnens nicht weiter explizieren. Pauken die
Erfolgsfaktorenforscher mit den Praktikern Statistik, um eine
Überinterpretation der Ergebnisse und einer instrumentellen Nutzung
vorzubeugen? Veranstalten sie kollektive Meditationen nach öffentlicher
Verlesung von Studien der Erfolgsfaktorenforschung? Stellen sie
widersprüchliche Ergebnisse einander gegenüber, um den Praktikern über die
Vielfalt der Ergebnisse neue Perspektiven zu eröffnen? Oder: Führen sie
schlichtweg Beratung durch, allerdings angereichert durch das Odium der
Wissenschaftlichkeit? Solche Fragen zu beantworten, wäre eine richtig spannende
Reaktion auf unseren Vorwurf gewesen, dass sich die Erfolgsfaktorenforscher
nicht für die Verwendung ihrer Ergebnisse in der Praxis interessieren.
So können wir nur feststellen,
dass Erfolgsfaktorenforschung eher das Gegenteil einer Perspektivenerweiterung
bewirkt. Camerer/Fahey (1988) haben schön herausgearbeitet, wie
Erfolgsfaktorenforschung bereits vorgefasste, implizite Theorien zementiert.
Capon/Farley/Hulbert (1987) vermuten etwa, dass viele PaaV-Forscher aus der
„Does Planning Pay?“-Debatte unter der Hand durch eine missionarische Absicht
zugunsten der Verbreitung strategischer Planung motiviert waren. Ganz
illustrativ ist in diesem Zusammenhang eine Anekdote von Henry Mintzberg (1995,
S. 114, Fn. 14):
„Ich
erinnere mich, an einer Konferenz der ‚Academy of Management’ teilgenommen zu
haben, wo ein Wissenschaftler erklärte, dass er so und so mit den Daten
umgegangen wäre, aber die gewünschte Verbindung sei einfach nicht
zustandegekommen. Aus diesem Grund habe er es noch verschiedene Male anders
versucht, aber ohne Erfolg (unter seinen Bedingungen). Und daher verkündete er
öffentlich, daß seine Methodik ungeeignet sei. Er zog nicht einmal die
Möglichkeit in Betracht, daß seine ursprüngliche Hypothese falsch gewesen war.“
Bemerkenswert ist auch der
Verweis von H/K auf die „realen Probleme“. Schon die Übernahme von vermeintlich
intersubjektiv gegebenen Problemdefinitionen geht mit der Übernahme
vorgefasster Interpretationsschemata einher. Eine Einengung der Perspektive ist
die Folge. Man wird auch schwerlich behaupten können, dass die langen Kolonnen
der Erfolgsfaktoren -Großprojekte uns ein plastischeres und facettenreicheres
Bild von Unternehmen vermittelt hätten. Kein Wunder also, dass Daft/Buenger
(1990, S. 96) feststellen mussten, die Erfolgsfaktorenforschung sei eine
Hauptursache für die praktische Irrelevanz des Strategischen Managements.
Nicht ohne Dankbarkeit gehen
wir in diesem Zusammenhang auf den reflektierten Beitrag von B/S ein, in dem
Kritik immerhin als eine Grundtugend der Wissenschaft anerkannt wird.
Unsererseits konzedieren wir gerne, dass unsere Ausführungen über den „neuen
Dialog“ zwischen Wissenschaft und Praxis noch wenig Konkretes enthält (ein paar
Takte mehr in Kieser/Nicolai 2003). Nur: Man wird, um hier weiterzukommen, wohl
eingestehen müssen, dass das Poppersche Modell der tautologischen
Umformulierung von Erklärungen in Gestaltungsvorschriften nicht funktioniert. Hier
kann man viel von anderen anwendungsorientierten Disziplinen lernen, in denen
man sich längst von der trivialisierenden Anwendungsvorstellung, wie sie etwa
die Erfolgsfaktorenforschung impliziert, gelöst hat. An anderer Stelle haben
wir uns ausführlicher mit der Frage auseinandergesetzt, was das für die
Möglichkeiten der Anwendungsorientierung bedeutet (Kieser 2002;s.
ausführlich dazu und mit zahlreichen Belegen Kieser/Nicolai 2003).
Wir sind auch deshalb B/S dankbar,
weil sie uns auf die Notwendigkeit hinweisen, ganz deutlich zu machen, dass
es uns nicht um eine Fundamentalkritik an der quantitativ-empirischen Sozialforschung
schlechthin geht. Wir stimmen B/S unbedingt zu, dass widersprüchliche empirische
Ergebnisse durchaus typisch für die gesamten Sozialwissenschaften sind und
dass Forschung stets nur vorläufige und damit immer auch verbesserungswürdige
Resultate liefert. Aber selbst wenn man noch dem Popperschen Wissenschaftsmodell
folgen will, muss man den Prozess des Erkenntnisfortschritts als ein Wechselspiel
zwischen Theorie- und Methodenprogrammen verstehen. Auf der Grundlage theoretischer
Überlegungen werden Methoden verbessert und die mit neuen Methoden gewonnenen
empirischen Ergebnisse modifizieren die Theorie. So folgen Theorie und Methode
wie ein Schritt auf den anderen. Nur gibt es keinen wissenschaftlichen Ansatz,
der ein Unternehmen gleichsam in voller Breite umfasst und den kausalen Bogen
von isolierbaren Faktoren hin zum Unternehmenserfolg schlagen kann. [1] Die „Erfolgsfaktorentheorie“,
von der B/S (S. 2, Kurzversion) sprechen, existiert leider nicht. So wird
denn auch in der gesamten vorliegenden Diskussion viel von Methode und überhaupt
nicht von Theorie gesprochen. Die empirische Erfolgsfaktorenforschung ist
auf dem Theoriefuß lahm und dreht sich deshalb im Kreise. Diese Form des rasenden
Stillstandes (oder mit Daft und Buenger, 1990: des „fast train to nowhere“)
ist ein recht spezielles Problem der Erfolgsfaktorenforschung und gilt nicht
für die Sozialwissenschaften allgemein.
Ein Missverständnis auf Seiten
B/S müssen wir aber ausräumen: Wir sind zwar wie B/S der Ansicht, dass
Wissenschaft sich evolutionär entwickelt, wobei der Kritik unter
Wissenschaftlern eine wichtige Funktion zukommt. Auch meinen wir in
Übereinstimmung mit B/S, dass die Dynamik der sozialen Entwicklung nur Theorien
mittlerer Reichweite gestattet. Aber: Es macht einen Unterschied, ob
wissenschaftliche Ergebnisse als Beiträge zum Erkenntnisfortschritt verstanden
oder von Vornherein als Vorgaben (wenn auch nur als Heuristiken interpretierte)
zum praktischen Handeln deklariert werden. Auch halten wir den Anspruch,
Faktoren des Erfolgs für ganze Unternehmen identifizieren zu können, wenn auch
nur für begrenzte Fristen, für nicht einlösbar. Die Managementwissenschaft
findet übrigens ein reichhaltiges Betätigungsfeld, auch wenn sie diesen
Anspruch nicht verfolgt. So finden sich in der Administrative Science Quarterly
so gut wie keine PaaV-Aufsätze, in Marketing- und Strategie-Zeitschriften
jedoch erreichen sie generell hohe Anteile.
Die Managementwissenschaften
sind fragmentiert, schlecht integriert und stehen unter einem stärkeren
externen Legitimationsdruck als andere Disziplinen. Es ist nicht immer der
direkte Wettbewerb von wissenschaftlichen Theorien, der im Modus des Austauschs
von Argumenten die Entwicklung der Managementwissenschaften treibt. Es geht
auch um mehr oder weniger unverbundene Forschungsprogramme, die nur indirekt um
Aufmerksamkeit, Ressourcen und Publikationsraum konkurrieren. Mit einem
Seitenblick auf die Erfolgsfaktorenforschung folgern daraus Lampel und Shapira
(1995, S. 123):
„As a result, the research programs
that prosper und these conditions may be driven by the dynamics of the
selection environment rather than the intrinsic merit of their content. For the
field as a whole, this implies a potential imbalance between the success of
research programs and their contribution to the field.”
Natürlich ist gerade für ein
außerwissenschaftliches Publikum ein äußerst attraktives Versprechen, von der
Wissenschaft eindeutige Erfolgsfaktoren geliefert zu bekommen. Und insbesondere
in anwendungsorientierten Disziplinen befördern die Wünsche externer
Anspruchgruppen die Verbreitung von bestimmten Forschungsprogrammen. Doch auch
was populär ist, kann in die Irre führen. Wir meinen, dass Forschungen, die in
normativer Absicht allgemeine Faktoren des Unternehmenserfolges isolieren
wollen, ein solcher Fall sind.
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[1]Das bedeutet nicht, dass man keine wissenschaftlichen oder unternehmensberaterischen Ansätze finden kann, die etwa einen Faktor wie Humanressourcen, Qualität oder sonst etwas als erfolgskritisch darstellen. Eine „Erfolgsfaktorentheorie“ müsste jedoch darüber hinaus weit mehr erklären können, z.B. warum der jeweilige Faktor unterpreist ist. Eine solche Theorie liegt nicht vor.